Wenn Patienten zu uns kommen – egal, ob mit Schmerzen im Bauch oder einer Blockade im Herzen – wie tief schauen wir wirklich? Geht es uns nur ums Symptom, oder wollen wir den eigentlichen Ursprung verstehen? Das ist die Herausforderung, die ich nach über zwei Jahrzehnten als TCM-Therapeut ständig erlebe.
Wichtigste Erkenntnisse
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Nicht jedes Symptom zeigt den wahren Ursprung des Problems – der Kern liegt oft viel tiefer.
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TCM erlaubt uns, Körper, Geist und Ursprung auf mehreren Ebenen zu betrachten.
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Die Begriffe Hun und Po stehen im Zentrum des Verständnisses vom inneren Gleichgewicht.
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Je bewusster wir als Therapeut*innen suchen, desto tiefer können wir behandeln – manchmal genügt schon eine einzige gezielte Nadel.
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Organpunkte zeigen, wie wir auf Körper-, Geist- und Seelenebene arbeiten können.
Die äussere und die innere Welt
Viele Menschen – Patientinnen genauso wie Therapeut*innen – leben eher im Aussen. Termine, Nachrichten, WhatsApp. Wirklich ruhig wird es selten. Doch was geschieht, wenn wir die Augen kurz schliessen und nach innen gehen? Genau darum geht es oft in der TCM: Nicht nur das Offensichtliche sehen, sondern das Verborgene. Ich erinnere mich an eine Patientin: Sie hatte seit Jahren Magenprobleme. Klar, Ernährung anpassen, Akupunktur – bringt oft etwas. Aber erst als wir gemeinsam in ihre Kindheit schauten, zeigte sich ein tiefer alter Schmerz. Ohne diese Innenschau wäre die Wurzel verborgen geblieben.
Wie tief willst du eigentlich gehen?
Jede Krankheitsgeschichte ist wie eine Zwiebel. Das Symptom aussen kann viele Ursachen haben:
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Wann begann das Problem? Vor kurzem oder schon vor Jahren?
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Gab es ähnliche Beschwerden schon in der Kindheit?
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Sogar die Zeit vor der Geburt – Pränatal – kann eine Rolle spielen.
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Noch weiter: Familiengeschichte, erblich Übernommenes, oder kollektive menschliche Lasten.
Je nach Bewusstsein und Offenheit der Patient*innen (und von uns selbst!) können wir unterschiedlich tief forschen. Die Chinesische Medizin gibt hier erstaunliche Freiheiten.
Hun und Po – Die stillen Helfer der Seele
Ganz kurz erklärt: Nach der TCM-Lehre bekommt unser Geist (Shen) bei der Geburt zwei Helfer – Hun (Leber-Seele) und Po (Körper-Seele). Hun steht für das Yang, für Vision, Kreativität und unsere persönliche Entwicklung. Po ist mehr das Yin, das Körperliche, die Instinkte, unsere Verbindung zum Hier und Jetzt.
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Hun (魂): Sitz in der Leber, verbunden mit Hoffnung, Vorstellungskraft und Flexibilität.
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Po (魄): Verankert in der Lunge, steuert Atmung, körperliche Empfindlichkeit und Instinkt.
Gerade das Zusammenspiel dieser beiden zeigt sich oft in der Behandlung: Viele Hautkrankheiten, Atembeschwerden und tiefe Ängste gehen bis auf die Po-Ebene zurück. Kreative Blockaden oder anhaltende Sinnlosigkeitsgefühle dagegen haben oft mit Hun zu tun.
Hun (Leber) |
Po (Lunge) |
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Vision, Inspiration |
Instinkt, Schutz |
Bewegung, Planung |
körperliches Spüren |
Spirituelle Suche |
Materielle Basis |
Das Besondere: Beide beginnen ihre „Arbeit“ eigentlich schon vor unserer Geburt. Und: Sie begleiten uns – in unterschiedlicher Form – bis zum Tod.
Praktisch in der Behandlung
Im Praxisalltag stellt sich die Frage: Wo liegen Wurzeln und was kann man tun? Es hilft, mit wenigen, gezielten Akupunkturpunkten zu arbeiten und bewusst entspannt zu bleiben.
Ein paar Praxisbeispiele:
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Herz 7 (Shen Men): Hilft, wenn die Seele keinen guten Sitz findet oder Schlaf gestört ist.
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Lunge 3 (Tianfu): Windows of Heaven-Punkt, öffnet Zugang zu inneren Themen, oft bei unterdrückten Gefühlen.
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Leber 14 (Qi Men): Das „Tor der Hoffnung“, kann Kreativität und Leichtigkeit anstoßen.
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Niere 24 (Ling Xu): Hilft, tiefe, vielleicht vorgeburtliche Themen hochkommen zu lassen.
Oft genügt schon eine Nadel, gezielt und bewusst gesetzt, um einen Prozess anzustossen. Weniger ist manchmal mehr – gerade auf diesen tiefen Ebenen.
Bewusstsein macht den Unterschied
Worauf wir als Therapeut*in den Fokus richten, beeinflusst das Ergebnis. Behandeln wir nur das Symptom, bleibt es oft an der Oberfläche. Gehen wir einen Schritt tiefer und schauen hinter das Offensichtliche, kann sich im Menschen wirklich etwas ändern.
Zum Abschluss: Manchmal ist der Ursprung der Heilung genau da, wo wir als erstes wegschauen – im Innersten. Die Reise nach innen bleibt spannend, für Patient*innen wie für mich.