Die Buchvorstellung und der Vortrag von Yair Maimon zum Thema Krebsdiagnose aus Sicht der TCM bieten bewegende Einblicke in die Herangehensweise der chinesischen Medizin an eine der grössten Herausforderungen unserer Zeit: Krebs. Besonders spannend ist der Bezug zum erschienenen Buch, das Yair Maimon gemeinsam mit Giovanni Maciocia verfasst hat – und es schwingt deutlich die Erfahrung und Klarheit jahrzehntelanger Praxis mit.
Wichtigste Erkenntnisse:
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TCM betrachtet Krebs und andere Krankheiten als Teil eines ganzheitlichen Musters und setzt auf klare Differenzierungen.
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Im Buch werden viele praktische Beispiele und Fallstricke aus der Praxis besprochen – insbesondere, wie man westliche und chinesische Medizin klug kombiniert.
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Die Diagnosemethoden, darunter die Meridian- und Zungendiagnostik, helfen dabei, individuelle Muster bei Krebserkrankten zu erkennen.
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Emotionale und hormonelle Hintergründe werden bei Erkrankungen wie Brustkrebs betont und fließen in die Therapie mit ein.
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Prävention und Nachsorge sind zentrale Themen, bei denen TCM einen wichtigen Unterschied machen kann.
Wie TCM Krankheiten wie Krebs versteht
Krebs gab es als Begriff im alten China so noch nicht. Die alten Chinesen verstanden Krankheiten viel mehr als Muster von Störungen (z. B. Hitze, Stagnation, Mangel). Auch bei Krebs wird von einem „komplexen Yin-Bing“ gesprochen – eine Krankheit mit mehreren Schichten. Heute wissen wir, dass Krebs auf Zellebene entsteht, aber in der TCM geht es mehr darum, die dahinterliegenden Muster und Disbalancen zu erkennen.
Die Unterscheidung von Krankheit und Muster
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Bing: Der Oberbegriff für Krankheit, zum Beispiel „Wind-Krankheit“.
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Bian Zheng: Das individuelle Muster – zum Beispiel „Hitze“, „Blutstase“ oder „Qi-Mangel“.
Bei Krebs ist die Differenzierung schwieriger, weil Symptome, Ursache und Verlauf sehr unterschiedlich sein können.
Die Bedeutung der Differenzierung in der Praxis
Gerade wenn ein Patient mit der Diagnose Krebs kommt, geraten viele Kolleg*innen ins Schwimmen. Das Ziel sollte aber immer sein, zu den TCM-Wurzeln zurückzukehren und klar zu differenzieren, wie bei jeder anderen Erkrankung auch.
Ein Beispiel: Blutung bei Krebs.
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Sie kann durch Hitze, Blutstase, toxische Hitze oder Mangel an Milz/Niere entstehen.
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Jede Ursache zeigt sich anders:
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Hitze: Helles, frisches Blut
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Stase: Dunkles, klumpiges Blut
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Mangel: Schwaches, dünnes Blut
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Daraus ergibt sich die Auswahl der Kräuter und das weitere Vorgehen.
Eine kleine Übersicht als Tabelle:
Ursache |
Typische Symptome |
Behandlungsschwerpunkt |
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Hitze |
Rotes, frisches Blut |
Kühlen, Blut stoppen |
Stase |
Dunkle, geronnene Blutungen |
Stase lösen, Blut bewegen |
Mangel |
Wenig, dünnes Blut |
Tonisieren, stärken |
Die Rolle der Meridiane bei Tumorerkrankungen – besonders bei Brustkrebs
Die Meridiane helfen uns, gezielt zu erkennen, wo eine Blockade liegt:
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Brustkrebs: Besonders betroffen sind der Magen-, Leber-, Herz- und Lungenmeridian.
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Leber: Versorgt den freien Fluss des Qi – besonders zur Brustwarze. Hier spielen Emotionen wie Wut, Frust und Schuld eine grosse Rolle.
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Magen und Milz: Werden oft durch Sorgen und ständiges Grübeln belastet.
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Lunge: Steht für Trauer, besonders für vergangene Verluste und Schicksalsschläge.
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Chong Mai: Ein Extrameridian, der stark mit hormonellen Veränderungen und der Brustregion verbunden ist. Hormonelle Dysbalancen begünstigen oft Brustkrebs.
Eine Auflistung wichtiger Punkte zur Vorbeugung und Behandlung:
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Leber 14 (Tor der Hoffnung): Letzter Punkt auf dem Lebermeridian, wichtiger Einfluss auf Brust und Diaphragma.
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Milz 21: Stärkt das Netzwerk der kleinen Verbindungen, auch in der Brust.
Zungendiagnose bei Krebs: Was wir auf der Zunge sehen können
Auf der Zunge können wir Veränderungen im Bereich der Brust erkennen – besonders an den Seiten. Manchmal sind die Zeichen eindeutig, manchmal aber sind sie subtil und im Gesamtbild zu bewerten.
Typische Befunde:
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Rote Zungenränder (Hinweis auf Hitze)
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Dunkle oder violette Flecken (Hinweis auf Stagnation)
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Blasse Zunge (Hinweis auf Schwäche, Mangel)
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Zahnabdrücke (v.a. Milzschwäche)
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Punkte und Flecken (lokale Stagnation)
Gerade bei Brustkrebspatientinnen lohnt sich ein genauer Blick, um Rezidive frühzeitig zu erkennen.
Westliche Behandlung trifft TCM: Der ganzheitliche Ansatz
Die Patientinnen kommen oft schon mit einer langen Liste an Therapien – Operation, Chemo, Bestrahlung. Das beeinflusst nicht nur den Körper, sondern verändert auch die Muster in der TCM. Deshalb ist genaue Diagnose und Anpassung der Rezepturen und Behandlungen so wichtig.
Wichtig ist:
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Den Menschen als Ganzes sehen
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Die Wurzeln der Krankheit berücksichtigen (z.B. Emotionen, Hormonumstellungen, Ernährung)
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Die Prävention ernst nehmen – die Muster bleiben oft auch nach erfolgreicher Krebstherapie bestehen
Fazit: Giovanni Maciocia und die Inspiration für heutige Praxis
Giovanni Maciocia hat es verstanden, die TCM als eigenständige Medizin zu präsentieren – nicht als „Begleittherapie“, sondern als eigenständige, klare und präzise Medizin. Das bleibt sein Vermächtnis. Für uns Praktiker*innen heisst das: immer wieder den Mut haben, klar zu differenzieren und den Menschen ganzheitlich zu betrachten.
Am wichtigsten: Diagnose ist der Anfang, Prävention ist der Schlüssel. Und auch nach all den Jahren in der Praxis überrascht mich, wie hilfreich die alten Methoden immer noch sind.